architektur südtirol 2024/25

Editorial Peter Oberdorfer Baukultur als work in progress Wenn man sich die in der heurigen Ausgabe versammelten Projekte ansieht, fällt auf, dass der Anteil der reinen Neubauten gering ist. Das hat natürlich mit den gestiegenen Kosten zu tun und damit, dass das Arbeiten mit bestehender Substanz auch unter ökologischen Gesichtspunkten für absehbare Zeit notwendig sein wird. Tatsächlich ist die individuelle Planung eines Gebäudes aus einer Hand geschichtlich eher die Ausnahme als die Regel. Viele unserer historischen Gebäude sind im Lauf der Zeit immer wieder umgebaut worden, sind von Brüchen und Widersprüchen geprägt und beschäftigten das Auge gerade deshalb. Das umgebaute Tankstellengebäude von LZP Architekten zeigt, wie die ungewöhnliche Form eines alten Werkstattgebäudes funktional adaptiert werden kann. Die Sanierung der Alperia-Zentrale in Bozen (Marco Sette) und das erneuerte Geschäftslokal Flair in Brixen (Asaggio) führen vor, wie fruchtbar die Gegensätze von „Zeitgenössisch” und „Historisch” aufeinander wirken, wenn man sie lässt. Durch Umbau und Erweiterung des Verwaltungsgebäudes der Platter KG (G22 Projects) entstand eine zeitgemäße Arbeitswelt im Rahmen bestehender Strukturen. Nachdem die Grundbedürfnisse des Menschen kaum geschichtlicher Veränderungen unterworfen ist, erscheint die kontinuierliche Nutzung von Wohnhäusern besonders einleuchtend; gerade wenn man bei der Erneuerung bewusst mit Kontrasten experimentiert, Beispiele: das umgebaute Wohnhaus H in Girlan (Haller Ohnewein), das neu gesampelte Wohnhaus eines DJs in Schlanders (Messner architects) oder das elegante Haus Hölzl (von Valtingojer Architekten) in Meran, Obermais. Vorsicht im Umgang mit der alter Bausubstanz legten Dell’Agnolo Kelderer an den Tag (Wohnhaus Kurtatsch). Die moderne Erweiterung eines alten Hofes realisierten Enartec in Eppan. Den nachdenklichen Bezug zu einem abgebrannten Bestandshaus stellten mit ihrem Neubau Naemas Architekten her. Die Umgestaltung eines Wohnhauses in ein Apartmentgebäude plante Stefan Hitthaler in der Altstadt von Bruneck. Mehr aus dem Bestehenden herauszuholen, ist auch im Tourismus das Gebot der Stunde. Ideenreichtum ist gefragt: Dieser führte etwa im Hotel Elephant in Brixen zur Verwandlung alter Stallungen in einen Wellnesstempel (durch Wolfgang Piller), barocker Formenreichtum und geradliniges Interior Design treffen aufeinander im Palais Campofranco in Bozen (plan team), historistisches Ambiente und zeitgenössisches Design verschmelzen delikat im Hotel Francesci in Cortina (Noa). Mit labyrinthischer mittelalterlicher Bausubstanz arbeiteten erfolgreich G22 Projects im Schwarzen Adler in Sterzing. Eine Neuausrichtung im wahrsten Sinne des Wortes erfuhr das Hotel Pacher in Brixen (durch Dejaco und Partner). Um einen eleganten, eigenständigen Baukörper ergänzt wurden das Hotel Cendevaves auf dem Monte Pana in St. Christina (Stefan Gamper), genauso wie das alte Schloss Plars in Algund (Monovolume). Ebenfalls gelungen erweitert wurde Residence Montani von HS Architects in Latsch und der Sonnenhof in Girlan durch Projectteam. Neu gebaut wird nach wie vor im öffentlichen Bereich: Etwa aufgrund eines neuen bzw. gestiegenen Bedarfs an Kindergärten, wie etwa der einfühlsam in Kiens von Roland Baldi errichtete Kindergarten zeigt. Auch die Wiederbelebung alter Dorfkerne durch Vereinsheime erfordert mitunter Neubauten, wie das von Wolfgang Simmerle in Deutschnofen gekonnt in den Ortskern integrierte Gebäude. Schulen sind schwer an Bestandssituationen anzupassen, weil die baulichen Anforderungen sehr komplex sind. Wie man dennoch in einer alten Kaserne eine moderne Grundschule unterbringt, zeigt das Projekt der Deflorian-Schule von Markus Scherer in Meran. Respekt vor alter Bausubstanz und alten Menschen verbindet das neue Pflegeheim St. Pauls in Eppan (von Pfeifer Partners). Peter Oberdorfer Marcel Walch Foto: © Daria Sytarchuk Foto: © Birgit Koell Fotografie 3

RkJQdWJsaXNoZXIy MjUzMzQ=